Mesut Özil und Recep Tayyip Erdogan
Die Migrantenkinder werden in Deutschland in gut und böse sortiert - muss das sein?
Der Deutsche, er ist in diesen Tagen mal wieder enttäuscht von seinem undankbaren Türkenjungen, weil der nicht funktioniert, wie er funktionieren soll. Erst posiert er mit einem Despoten, dann trifft er das Tor nicht und zeigt bis heute keine Reue. Nichts hat er gelernt, in all den Jahren, von den Gastgebern seiner Heimat.
Er, das Mesut Özil, unser Junge aus Gelsenkirchen, 23 Tore für "die Mannschaft", einst Mitglied des deutschen Fußballmärchens, Träger des Integrationsbambis, ein Muslim, der mit nacktem Oberkörper der deutschen Kanzlerin die Hand schüttelte. Der Vorzeigemigrant, unser Özil, fast Deutscher.
Er, das ist auch der ewige Türke, der die Nationalhymne nicht mitsingt, weil er die Zeit braucht, um Koranverse in den Himmel zu schicken, der Wahlkampfhelfer des türkischen Präsidenten, verantwortlich für das WM-Aus der Deutschen. Der Mesut, unser Problemmigrant, mit seiner Kopftuchmutter, nie wirklich angekommen.
Es sind die altbewährten, deutschen Schubladen für die Migrantenkinder, auch die Helden unter ihnen werden wegsortiert, Özil soll sich entscheiden, wer er sein will. Ist er im Herzen nun Türke oder doch Deutscher? Unser Junge oder doch Sohn Erdogans?
In einer Zeit, in der Nazis Beifall klatschen im NSU-Prozess, Sarrazin ein neues Buch auf den Markt wirft, im deutschen Bundestag eine Partei sitzt, deren Abgeordnete von "Kopftuchmädchen" und "Messerjungen" sprechen und deren Parteikollegen deutsche Staatsminister am liebsten in Anatolien "entsorgen" würden. Ihnen allen gegenüber sitzt ein Innenminister in einem jahrzehntealten Einwanderungsland, der einen Masterplan veröffentlicht in dem er es nicht schafft, zwischen Migranten und Flüchtlingen zu unterscheiden.
Mesut Özil schweigt. Er entscheidet sich nicht und steht stellvertretend für eine Generation von Migrantenkindern, die sich nicht mehr so einfach wegsortieren lassen, wie es die Gesellschaft gewohnt ist von ihren Eltern.
Je länger er schweigt, desto mehr reden die anderen und versuchen, das Rätsel Özil zu lösen. Und zeigen dabei ihr Unvermögen, mit der Verunsicherung in diesem Land umzugehen, während sie auf der Suche sind nach einer Antwort auf die ewige Frage: was das neue "deutsche Wir" in Zukunft eigentlich noch sein darf. Und in dieser Phase des Schwadronierens ist da einer, der ihnen diese Rhetorik verweigert.
Özil schweigt, während Cem Özdemir ihm in einem Interview zuruft: "Der Bundespräsident eines deutschen Nationalspielers heißt Frank-Walter Steinmeier."
Und diese bundesweite Spurensuche nach "dem wahren Özil liefert den Migrantenkindern in diesem Land wieder den Beweis dafür, dass es das doch gibt, dieses zweierlei Maß. Es wird belegt mit Bildern von den echten Deutschen, deren Deutschsein nicht infrage gestellt wird, obwohl sie mit den Falschen posierten. Sie sehen Lothar Matthäus mit einem blauen Trikot für Putin, da sitzt Oliver Kahn auf einem Samtsofa mit Saudis, da gibt es Sigmar Gabriel, der dem türkischen Außenminister Tee aus silbernen Kannen serviert. Und ja, da ist Mesut Özil, mit einem ehrfürchtigen Blick, für einen Despoten, der das Land seiner Großeltern regiert.
Der Spiegel, 2018
Der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier
Die Artikel sind oft polemisch und spiegeln NICHT die Meinung der Autorin des Blogs.
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