Wer gehört dazu, wer nicht? Das ist eine ewige Frage der Menschheit, die früher oft mit Gewalt geklärt wurde, heute eher mit Gesetzen und Worten, aber manchmal auch noch mit Gewalt. Und ganz oft mit den falschen Worten, mit Ausgrenzug und Rassismus, mit Heuchelei, politischem Missbrauch. Kaum ein anderes Debattenfeld ist so verkommen wie dieses.
Eine Erregung folgt der nächsten. Kein Schweinefleisch für Kitas? Späterer Schulbeginn für Kinder mit mangelhaften Deutschkenntnissen? Und zeugen Afrikaner viel Nachwuchs, weil es in Afrika zu wenig Kraftwerke gibt, die Nächte also lang und dunkel sind? All das spielte letztens eine Rolle. Dazu immer wieder fremdfeindliche und rassistische Ausfälle aus Kreisen der AFD. Eine ernsthafte Debatte ist in diesen Wortgewittern kaum möglich.
Es wäre ein romantisches Ideal, könnte man sagen: Alle gehören dazu. Aber so ist der Mensch nicht. Er bildet Gruppen und grenzt sich ab von anderen Gruppen, früher vor allem aus einem Bedürfnis nach Sicherheit. Man definiert das Eigene und das Andere, die Eigenen und die Anderen. Meine Familie, deine Familie, meine Horde, deine Horde meine Siedlung, deine Siedlung. Über Stämme und Städte entwickelten sich so Reiche und Nationalstaaten.
Es ist kein Zufall, dass es bei vielen Erregungen um Kinder geht, bei Sicherheitsfragen auch um Frauen. Hier kommen Schutzbedürfnisse hoch, nichts macht uns so verletzlich wie die eigenen Kinder, und diese Verletzlichkeit macht uns ehrlich. Vielen fällt es leicht, für die offene Gesellschaft zu plädieren und das Leben in einem gemischten Kiez wie Berlin-Kreuzberg cool zu finden. Aber wenn die eigenen Kinder eine Grundschule mit hohem Migrantenanteil besuchen müssten, ziehen manche Eltern lieber einen anderen Bezirk oder eine Privatschule in Betracht.
Das ist einerseits verständlich. Die Sprache ist der Kern des Eigenen in Nationalstaaten. Sie schafft die Grundlage für Zusammengehörigkeit. Zudem werden über die Beherrschung der Landessprache Lebenschancen verteilt. Und für die Kinder will man nur das Beste.
Für eine gute Debatte in dieser Sache sind zwei Schritte notwendig. Der erste ist, zu akzeptieren, dass es im menschlichen Dasein das Eigene und das Andere gibt. Und das zu empfinden oder darüber zu reden ist nicht automatisch Rassismus oder Ausgrenzung. Es kommt allerdings sehr darauf an, wie man darüber redet.
Wer noch nie einen rassistischen Reflex hatte, der ist am Ziel. So soll es sein. Wem es passiert ist, weil er zum Beispiel mit dem Wort "Neger" oder fremdenfeindlichen Stereotypen aufgewachsen ist, wie viele der Älteren, der ist kein Unhold, hat jedoche die Pflicht, dagegen anzuarbeiten.
Der zweite Schritt: Die Sphären des Eigenen und des Anderen dürfen nicht streng getrennt sein. Es muss faire Chancen geben, nach Deutschland einwandern zu können. Und Migranten sollten von der Mehrheitsgesellschaft als Eigene anerkannt werden.
Es zählt nicht nur, was jemand gerade ist, sondern was er werden kann, vor allem durch Sprachförderung. Nur das Beste für die Kinder der ehemals Anderen, das muss ein Leitsatz für Staat und Gesellschaft sein. Warum nicht zwei, drei Lehrer vor eine Klasse stellen, um alle Schüler mitnehmen zu können? Der Reiz von Privatschulen ließe nach.
Jeder soll leben, wie er will, das bleibt ein wichtiger Grundsatz einer liberalen Gesellschaft. Aber sie erwartet zu Recht, dass auch Migranten die liberalen Werte im öffentlichen Leben mittragen. Sie darf auch erwarten, dass man ihr ein Zeichen gibt, dazugehören zu wollen, über das Erlernen der deutschen Sprache vor allem. Schon damit man vernünftig miteinander reden kann.
(der Spiegel, 2019)
*Die Beiträge sind oft polemisch
und spiegeln NICHT die Meinung der Autorin des Blogs.
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